Doping im Radsport
Foto: Hans-Peter Reichartz / pixelio.de

Doping im Radsport: Wie wär’s mal mit ein bisschen Ehrlichkeit?

28.07.2013 - Die 100. Auflage der Tour de France ist Geschichte und schon machen wieder Schlagzeilen zum „Doping im Radsport“ die Runde. Freut sich denn keiner über die vier Siege von Marcel Kittel, über den Erfolg von André Greipel oder die klasse Leistung von Toni Martin? Wir Radsportler sind doch nicht die einzigen „Dopingsünder“ - wie die jüngsten Medienberichte zeigen.

Sie ist gerade einmal zwei Wochen Geschichte, die 100. Auflage der Tour de France. Eine Tour, die maßgeblich vom deutschen Radsport geprägt wurde. Von 21 Etappen wurden 6 von Deutschen gewonnen. Das sind etwa dreißig Prozent, knapp ein Drittel. Und was macht Radsport Deutschland? Anstatt sich mit und über Marcel Kittel, André Greipel und Toni Martin zu freuen, stellt man den Radsport hinter vorgehaltener Hand gleich wieder an den Pranger. „Die nehmen doch alle was!“ sagen die, die es wissen wollen, aber gar nicht wissen können. „Ohne Doping geht das nicht.“ Und die Medien stürzen sich drauf, wie die Aasgeier. Ziehen weiter über Jan Ullrich her, demontieren Eric Zabels Ansehen und werden nicht müde, alte, längst vergangene Geschichten wieder auszugraben. Zugegeben, wir (die Aktiven im Radsport) haben Fehler gemacht. Doch das haben andere auch. In der Leichtathletik zum Beispiel! Sind das etwa nur Kavaliersdelikte. Niemand tönt, dass man die einhundert Meter doch nur mit verbotenen Mitteln unter zehn Sekunden laufen kann.

Klar ist: Seit etwa 2006 wird der Radsport (leider) von diesem sehr hässlichen Thema geprägt. Wurde von diesem in einer Weise überschattet, wie es der Sport bisher noch nie erlebt hat. Radsport und Doping scheinen in den Augen der meisten Bürger mittlerweile untrennbar zu sein. Sind Radrennfahrer „drogenabhängige“ Junkies? Ist dieser Sport, sofern man Höchstleistungen vollbringen will, ohne unerlaubte Leistungsstimulanz überhaupt noch möglich? Das alles sind Fragen, die dieser Tage ständig gestellt werden. Jeder, der Radsport aktiv betreibt, muss sich ihnen stellen. Es darf aber nicht angehen, dass ein schöner, beliebter und vor allem sehr gesunder Sport im Doping-Sumpf der Medienberichterstattung untergeht. Viele, zu viele Jugendliche und Nachwuchssportler haben es verdient, das mit diesem Thema offen und ehrlich umgegangen wird. Der Radsport muss selbstverständlich wieder sauber werden und bleiben. Das gilt allerdings für alle Sportarten, wie jüngsten Medienberichte ganz deutlich machen! Habt ihr etwa schon vergessen, dass sich gerade Leute, wie Toni Martin und Marcel Kittel dafür stark machen?

Der verflixte Griff zur Ampulle

Der Traum der Menschheit von ewiger Jugend und übermenschlicher Kraft ist alt und keine Erfindung unserer Zeit. Schon früher versuchte man durch „besondere Mittelchen“, seine eigene Leistung über die seiner Mitmenschen hinaus anzuheben. In Zeiten der Gefahr, wie z.B. im zweiten Weltkrieg, hat die Verabreichung von Benzedrin an Kampfflieger und von Pervitin vor Gewaltmärschen manchem Soldaten das Leben gerettet. Wir befinden uns natürlich nicht mehr unter Kriegsbedingungen. Trotzdem werden heutzutage mehr und mehr Drogen verbraucht. Warum? Vielleicht weil wir uns im Leistungszeitalter der Weltgeschichte befinden – und die Droge scheint etwas zu sein, dass zu diesem Zeitalter gehört. Der Mensch strebt nach Leistung. Das muss er auch, will er sich gegenüber seinen Mitmenschen behaupten. Das gilt im Job wie auch im Privaten! Wenn es zuhause im Bett nicht mehr so richtig klappt, ist der Griff zu Viagra schon fast selbstverständlich. Und eine Party wird erst so richtig „geil“, wenn Alkohol, Ecstasy und anderes konsumiert wird.

Der Mensch leidet unter Stress und versucht diesem auf jede mögliche Weise zu entfliehen. Gleichzeitig unterliegt er auch dem Naturgesetz von Lust und Unlust: So wird versucht, Lustbetontes zu erleben und Unlustbetontes zu vermeiden. Die Menschen suchen das Wohlbefinden, den Zustand der Euphorie. Sorgen und Probleme werden nicht mehr gelöst, sondern einfach betäubt. Gerade in diesen Zeiten klammern wir uns an Galionsfiguren, an schillernde Helden, die uns aus der Tristesse des Alltags entfliehen lassen und uns für kurze Zeit mitnehmen. In den siebten Himmel der Glückseeligkeit - des Erfolgs, ihres Erfolgs! Denken wir doch nur zurück an die Fußball-Weltmeisterschaft 2006, das berühmte Sommermärchen. An die Ära Henry Maske, der Boxen wieder salonfähig machte. Oder auch und gerade an 1997, als Jan Ullrich die Tour de France gewann.

Was kostet dieses Stück vom Glück?

Wir brauchen sie, die Stars und Lichtgestalten! Wir alle sind es doch, die sie zu diesen Leistungen antreiben. Nicht nur im Sport! Werbung und Medien tragen ihren Teil dazu bei! Perfekt gebaute und gestylte Stars suggerieren Alt und vor allem Jung das Idealbild vom schönen, leistungsfähigen Körper. Knackig-schlanke Mädels mit praller Oberweite, topp trainierte Jungs mit Waschbrettbauch und breiten Schultern sind das Schönheitsideal unserer Zeit. Hinterfragt eigentlich irgendwer, welcher Busen auf der Leinwand, im TV oder einem der Hochglanzmagazine noch echt ist? Ein Weltstar aus der Popszene machte einmal von sich Reden, als bekannt wurde, dass sein Waschbrettbauch nicht das Resultat harten Trainings sondern der Schönheitschirurgie ist. Wer fragt, was an den Stars wirklich noch „natürlich“ ist? Seid doch ehrlich: Wer will denn das wahre Erfolgsgeheimnis wirklich wissen? Entscheidend ist doch nur das Bild, das diese Galionsfiguren liefern. Damit man sie verherrlicht und ihnen nacheifern kann. Mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln!

Sportler, die im Rampenlicht stehen und die Medien beherrschen, sind nicht etwa Gäste von einem anderen Stern, die hier auf der Erde oder während der Tour de France zu einem Kurz-Trip verweilen. Sie sind ganz normale Menschen wie ihr und ich. Und sie unterliegen den gleichen Versuchungen. Der Ruhm des Sieges, wirtschaftlicher Erfolg, soziales Ansehen und selbstverständlich auch nationales Prestige sind für den Athleten große Anreize, seine Leistungsfähigkeit mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verbessern. Wenn eine zum Sexsymbol mutierte Blondine ihren von Natur aus zu kleinen Busen aufpeppen lässt, dann hat sie wohl das gleiche Motiv wie ein Tour-de-France-Sieger, der erneut nach dem gelben Trikot greift: Medien, Fans, Sponsoren und das Publikum wollen Resultate sehen. Wie es die Blondine oder der Radprofi anstellen, interessiert zunächst einmal niemanden.

Zaubermittel „Doping“

Im Leistungssport – nicht nur im Radsport - sind heute oft unmenschliche Trainingsmethoden notwendig. Umso enttäuschter ist der Athlet, wenn sich trotz dieser Trainingsarbeit der gewünschte Lohn nicht einstellt. Muss er ja auch sein, denn Medien, Fans, Sponsoren und das Publikum wollen ja ein Resultat sehen. Liefert es der Sportler nicht, wird er fallen gelassen, wie eine heiße Kartoffel. Man jubelt dann eben einem anderen zu, der auch den (finanziellen) Lohn erhält. Das geht an die Psyche, auch und vor allem beim Sportler. Er steht unter Erfolgsdruck und Stress. Wie jeder normale Mensch heute auch. Only the winner takes it all! Und so hält er eben Ausschau nach Methoden der Leistungssteigerung, versucht Unlust zu vermindern und sein Wohlbefinden zu steigern. Wie jeder normale Mensch. Wo liegt also der Unterschied?

Wird es nicht endlich Zeit, einmal fair und ehrlich zu sein? Und was ist eigentlich mit Ethik? Ihr nennt uns (Rad-)Sportler Betrüger! Das ist ein böses Wort. Wen haben wir denn betrogen? Die Medien, das Publikum, die Fans – all diejenigen, die von uns Spitzenleistungen verlangen, koste es was es wolle? Und wenn es schon kollektive Keile sein soll, dann doch bitte für alle. Dann seid bitte mit Leichtathleten, oder Fußballern genauso streng und setzt euren Sündenbock nicht nur auf ein Rennrad! Sucht euch andere aus, es gibt genügend! Die jünsten Medienberichte und Veröffentlichungen machen es ganz deutlich: Der Radsport war nicht der einzige Sünder. Zu Fuentes Kunden gehörten nämlich auch Athleten aus anderen Sportarten! Vielleicht denkt ihr auch mal über Jesus Christus nach, der da sagte: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!“

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